Stipendiatin Valentina Daum
Valentina Daum studiert Gender, Intersektionalität und Politik an der Freien Universität Berlin und wurde bezüglich ihres bevorstehenden Auslandsaufenthaltes für das Vacasol Global Engagement Scholarship 2022 auserwählt. Sie wird ein Auslandssemester nach Kanada gehen und an der Universität von Alberta in Edmonton studieren.
“Die Suche nach sozialem Wandel und dem Abbau sozialer Ungerechtigkeiten hat in meinem Leben seit vielen Jahren oberste Priorität”, beschreibt Valentina ihre Motivation. Sie engagiert sich in einem basisdemokratisch organisierten Wohnprojekt für die Entwicklung von Awarenesskonzepten in Bezug auf verschiedene Diskriminierungsformen und setzt sich an der Freien Universität Berlin für den Ausbau barrierefreier Strukturen ein.
In Kanada möchte Valentina eine andere Perspektive auf die Fragen nach Anerkennungs-, Verteilungs-, und Verwirklichungsgerechtigkeit gewinnen und die Bedeutung von Ressourcenverteilung, Privilegien und Diskriminierung näher untersuchen - “Vor dem Hintergrund der nordamerikanischen kolonialen Siedlerstaaten stellen sich auch die Herausforderungen der historischen Aufarbeitung oder die gesellschaftliche Stellung verschiedener Minderheiten und der politischen Kämpfe anders dar als in Deutschland”.
Basierend auf den in ihrem Auslandssemester gesammelten Erkenntnissen, möchte sie anschließend ergründen, “welche Potenziale Gerechtigkeit für politische und wissenschaftliche Institutionen in Deutschland bietet” und dieses Interesse nach ihrem Masterstudiengang in einer Promotion vertiefen.
Wir wünschen ihr viel Erfolg und freuen uns auf einen spannenden Bericht!
Halbzeitbericht
Freizeit
Ein Auslandsaufenthalt mitten hinein in den kanadischen Winter? Warum auch nicht. In Edmonton gibt es neben niedrigen Temperaturen außerdem viel Schnee und Eis, was Wintersport-Liebhaber*innen genügend Möglichkeiten für Freizeitaktivitäten bietet. Sei es Schlittschuhlaufen auf gefrorenen Seen in einem der vielen Parks, Langlaufen, Ski- oder Schlittenfahren auf einem der vielen kleineren Hügel, die die ansonsten flache Stadt zu bieten hat. Weiterhin gibt es ausgedehnte Spaziermöglichkeiten im sogenannten River Valley, Kanadas größter Stadtparkkette entlang des North Saskatchewan River. Weiterhin ist Edmonton bekannt für die vielen Festivals, die auch im Winter stattfinden. Wer also ausreichend warme Kleidung und außerdem viel Geduld, für die eher schlecht ausgebauten öffentlichen Verkehrsmittel im Gepäck hat, ist hier erst einmal gut aufgehoben.
Studium
Meine Motivation, neue Perspektiven zu Themen rund um Dekolonisierung und soziale Gerechtigkeit kennenzulernen, hat mich durchaus in die richtige Richtung gelenkt: Kurse zu „Indigenous Genders and Sexualities“ und „Indigenous Resurgence“ aus den Politikwissenschaften und Indigenous Studies konfrontieren mich mit Auseinandersetzungen kritischer und feministischer Indigenous Theoretiker*innen und Aktivist*innen. Diese Auseinandersetzungen machen strukturelle und alltäglich wahrnehmbare Widersprüche für mich besonders greifbar: Während Institutionen wie die Universität (University of Alberta) besonders darauf bedacht ist, sich als inklusive Einrichtung zu repräsentieren, spiegelt sich das zum Beispiel nicht in der Zugangsmöglichkeit für marginalisierte Personengruppen wider. Die beliebten Land Acknowledgements*, die an prominenten Stellen auf der Homepage der Universität zu finden sind, reihen sich für mich ein in eine Logik, die Kanada und Kanadas Institutionen öffentlich als multikulturellen Hafen darstellt mit einer zwar bedauernswerten Kolonialgeschichte, aber eben das: Kolonialismus als Geschichte.
*„The University of Alberta acknowledges that we are located on Treaty 6 territory, and respects the histories, languages, and cultures of First Nations, Métis, Inuit, and all First Peoples of Canada, whose presence continues to enrich our vibrant community“
Das steht im krassen Gegensatz zu tatsächlichen kolonialen Kontinuitäten, die sich etwa darin äußern, dass Indigenous Frauen, Trans-, Inter-, nicht-binäre und 2Spirit-Personen am meisten von Armut, Inhaftierung, sexueller Ausbeutung und geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen sind, verschwinden und ermordet werden. Die beliebten Land Acknowledgements täuschen darüber hinweg, dass sich die Einrichtungen der europäischen Siedler*innen auf gestohlenem Land befinden, welchen „Land Back“-Forderungen von Indigenous communities gegenüberstehen. Ich bin dankbar für die Möglichkeit, mich in den Uni-Kursen, auf Ausstellungen oder Veranstaltungen mit transformativen politischen und ökonomischen Konzepten auseinanderzusetzen zu können, die von Indigenous scholars, Künstler*innen und Aktivist*innen entwickelt und verkörpert werden.
Essen auf dem Campus
Da das Thema Essen organisieren für mich hier eine große Umstellung darstellt, habe ich mich dazu entschieden, diesen Punkt hier auszuformulieren. Einen großen Unterschied, den ich hier zu den Universitäten in Berlin wahrnehme, ist die Ernährung. Während ich mich in Berlin tatsächlich (!) immer auf das gute und vor allem sehr günstige Essen in der Mensa gefreut habe, gibt es hier auf dem Campus lediglich überteuerte Fast Food Imbisse. Menschen, die sich weder jeden Tag selbst bekochen mögen noch jeden Tag ein kleines Vermögen für noch kleinere Portionen Fast Food ausgeben möchten, sollten sich das mit dem Auslandsaufenthalt, zumindest in dieser Region, nochmal überlegen.
Abschlussbericht
Nach insgesamt 6 Monaten Aufenthalt in Edmonton, anfänglicher Skepsis und dem ein oder anderen Kulturschock kann ich bilanzierend abschließen: Ich habe Edmonton lieben gelernt. Edmonton, eine 981.280-Einwohner*innenreiche Stadt mitten in Alberta hat mich vielfach verzaubert. Da ist zum einen das River Valley, eine ausgedehnte und außerdem Kanadas größte Stadtparklandschaft, die sich nicht nur entlang des North Saskatchewan River, sondern auch mich in ihren Bann zieht. Ein Fuß in die abwechslungsreichen Wälder am Fluss zu setzen und sofort zu vergessen, dass ich mich in einer Großstadt befinde, Begegnungen mit Bibern und Kojoten, Raben zu beobachten, stundenlange Spaziergänge, jedes Mal eine andere Himmelsrichtung einzuschlagen und neue Szenerien zu erleben, das alles macht für mich die Einzigartigkeit des River Valley aus. Kann die Gegend im Winter zu Fuß oder via Langlaufen erkundet werden, gibt es im Sommer die Möglichkeit, die Strecken mit dem Mountainbike zurückzulegen. Die faszinierenden Naturerlebnisse hören hier nicht auf. Unweit von der Stadt befindet sich das Vogelschutzgebiet Clifford E. Lee Sanctuary, von dem aus einige seltene Vogelarten bewundert werden können. In dem Nationalpark Elk Island wiederum erfreuen Kojoten, Wölfe (wenn eins Glück hat), Bisons, Elche und ausgedehnte Seen das Gemüt. Weiterhin durfte ich mit Drag-Shows, Eishockey-Spielen, dem Flying Canoe Festival , diversen Musikveranstaltungen und einer Fahrt mit der historischen Straßenbahn eine ganze Bandbreite kultureller Eindrücke erleben.
Das Studium betreffend kann ich sagen, dass mich meine Motivation, neue Perspektiven zu Themen rund um Dekolonisierung und soziale Gerechtigkeit kennenzulernen, durchaus in die richtige Richtung gelenkt hat: Kurse zu „Indigenous Genders and Sexualities“ und „Indigenous Resurgence“ aus den Politikwissenschaften sowie den Indigenous Studies konfrontieren mich mit Auseinandersetzungen kritischer und feministischer indigener Theoretiker*innen und Aktivist*innen. Diese Auseinandersetzungen machen strukturelle und alltäglich wahrnehmbare Widersprüche für mich besonders greifbar. Während Institutionen wie die Universität (University of Alberta) besonders darauf bedacht ist, sich als inklusive Einrichtung zu präsentieren, spiegelt sich das zum Beispiel nicht in der Zugangsmöglichkeit für marginalisierte Personengruppen wider. Die beliebten Land Acknowledgements*, die an prominenten Stellen auf der Homepage der Universität zu finden sind, reihen sich für mich ein in eine Logik, die Kanada und viele der staatlichen Einrichtungen öffentlich als multikulturellen Hafen darstellt mit einer zwar bedauernswerten Kolonialgeschichte, aber eben das: Kolonialismus als Geschichte.
*„The University of Alberta acknowledges that we are located on Treaty 6 territory, and respects the histories, languages, and cultures of First Nations, Métis, Inuit, and all First Peoples of Canada, whose presence continues to enrich our vibrant community“
Die beliebten Land Acknowledgements können darüber hinwgtäuschen, dass sich die Einrichtungen der europäischen Siedler*innen auf gestohlenem Land befinden, welchen etwa stärker werdenden „Land Back“-Forderungen von Indigenous communities gegenüberstehen. Die tatsächlichen kolonialen Kontinuitäten äußern sich auch darin, dass indigene Frauen*, Trans-, Inter-, nicht-binäre und 2Spirit-Personen am meisten von Armut, Inhaftierung, sexueller Ausbeutung und geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen sind, verschwinden und ermordet werden, während gleichzeitig die Aufmerksamkeitsgenerierung für dieses Problem und Nachforschungen größtenteils den Betroffenen überlassen wird. Ich bin dankbar für die Möglichkeit, mich in den Uni-Kursen, auf Ausstellungen und Veranstaltungen mit entsprechend transformativen politischen und ökonomischen Konzepten auseinanderzusetzen zu können. Ich möchte mich weiter damit beschäftigen, was ich daraus für die Fragen sozialer Gerechtigkeit im deutschen Kontext lernen kann.
Edmonton mag nicht einer der prominenten kanadischen Sehnsuchtsorte sein, die einer Person als erstes oder zweites in den Sinn kommen. Aber abschließend kann ich sagen, dass Edmonton dahingehend unterschätzt wird. Was ich neben dem River Valley vermissen werde, sind die neu geknüpften engen und liebevollen Freund*innenschaften, die enorme Freundlichkeit in den Alltagsbegegnungen mit Fremden an der Kasse oder im Bus, die facettenreiche Natur und nicht zuletzt die Campus-Hasen und -Eichhörnchen, die den Alltag einfach besser machen.