Stipendiatin Laura Beck

Laura Beck mit Zertifikat

Laura Beck studiert Politics, Administration & International Relations an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen und wurde bezüglich ihres bevorstehenden Auslandsaufenthalts für das Vacasol Global Engagement Scholarship 2022 auserwählt. Sie plant im Sommersemester 2023 nach Ägypten zu gehen und an der American University in Cairo zu studieren. Ihr Fokus liegt dabei insbesondere auf Internationale Beziehungen und Menschenrechte.

„Da ich bis jetzt noch nie die Gelegenheit hatte, ins außereuropäische Ausland zu reisen war mir in meiner Wahl ein möglichst großer Kulturschock und die Möglichkeit meine eurozentrische, westliche Perspektive zu hinterfragen wichtig“, sagt Laura.

Sie ist sehr gespannt, diese vielfältige Metropole kennen zu lernen, ist sich aber auch bewusst, dass einige Schwierigkeiten auf sie zukommen könnten. Trotzdem ist sie sehr zuversichtlich, diese meistern zu können und hofft, dass diese Erfahrung sie für ihr weiteres Berufsleben vorbereiten wird. Laura ist schon voller Vorfreude auf ihren Auslandsaufenthalt und lernt daher bereits seit einigen Monaten Arabisch!

„Meiner Meinung nach eröffnet eine neue Sprache die Möglichkeit, eine fremde Kultur viel tiefgehender kennenzulernen - und Sprache prägt das Denken.“

Wir sind schon genauso gespannt wie Laura und freuen uns auf tolle Berichte und schöne Bilder!

Halbzeitbericht

Seit drei Monaten bin ich nun in Kairo, da aber nur noch die Klausurenphase bevorsteht, neigt sich trotzdem die erste Hälfte meines Auslandsaufenthaltes in Ägypten dem Ende zu.

Ausblick über die Bucht auf Alexandria (Laura Beck)

Bislang hat die Uni selbst meine Zeit in Kairo am meisten geprägt. Das System an der American University in Cairo ist ein ganz anderes als in Deutschland und es war eine Herausforderung sich an dieses anzupassen. Kurse hier dauern eineinhalb Stunden und finden zweimal die Woche statt. Insgesamt ist der Workload sehr hoch, wobei Quantität deutlich über Qualität gestellt wird. Ausnahmen stellen mein Kurs in International Law dar, so wie ein Master Kurs in Conflict Prevention and Resolution. Die meisten Internationals hält dies nicht davon ab das Land zu bereisen, da ich allerdings unter anderem für das akademische Angebot hier bin und meine Noten auch angerechnet werden, hat dies erfordert die meiste Freizeit in der Bibliothek zu verbringen. Dies erschwert es Anschluss an andere Internationals zu finden.

Eingangsschild American University in Cairo (Laura Beck)

Während die geforderte Qualität in den meisten Kursen nicht besonders hoch ist, habe ich trotzdem sehr viel gelernt. Einerseits, weil meine Kurse alle starken Bezug auf den Nahen Osten nehmen und ich bis jetzt keine Gelegenheit hatte mich im Studium damit näher auseinanderzusetzten. Andererseits, da die Kurse sehr klein sind, was mir ermöglicht in Diskussionen die Perspektive meiner Mitstudierenden näher kennenzulernen. Dies hilft mir meine eigene eurozentrische Perspektive zu hinterfragen und neue Sichtweisen kennenzulernen.

Ausblick über den Nil (Laura Beck)

Ein Beispiel dafür ist der Israel-Palästina Konflikt, der viele meiner Mitstudierenden stark beschäftigt. Sie identifizieren sich mit der Unterdrückung der Palästinenser:innen aufgrund ihrer eigenen arabischen Identität und Kolonialgeschichte. In Deutschland wird das Thema anders aufgerollt und ist stark durch Deutschlands Schuld am Holocaust geprägt und aufgeladen.

Insgesamt zieht sich der Einfluss des (Neo-)Kolonialismus durch all meine Kurse wie das in Deutschland nie der Fall war, da die Kolonialgeschichte die Staatenbildung in der Region stark beeinflusst hat und in Systemen wie dem Völkerrecht oder auch in den Konflikten der Region wiederzufinden ist.

Pyramiden in der Wüste (Laura Beck)

Zu beachten ist allerdings, dass die Perspektive meiner Mitstudierenden natürlich stark von ihrer eigenen Position in der ägyptischen Gesellschaft geprägt ist. Aufgrund der hohen Studiengebühren ist der Großteil meiner Kommilition:innen aus den wohlhabenden Schichten der Gesellschaft und hat meist auch eine Zeit im Ausland gelebt.

Insgesamt führt mir dies nochmal die Komplexität von Privileg vor Augen. In Deutschland ist meine Wahrnehmung von Privileg durch meine Erfahrung als Erstakademikerin und Stipendiatin geprägt. An der AUC sind die meisten meiner Kommiliton:innen viel wohlhabender als ich, insbesondere, aber nicht nur im Kontext der ägyptischen Gesellschaft. Gleichzeitig genieße ich als weiße Person aus einem westeuropäischen Land einige Privilegien, in Deutschland wie auch in Ägypten.

Panorama Kairo (Laura Beck)

Hilfreich war es daher näheren Kontakt zu Ägypter:innen zu suchen, was sich als International aber immer schwierig gestaltet. Ich hatte die Gelegenheit mit ägyptischen Freundinnen nach Dahab ans Rote Meer zu reisen. Dies war kulturell sehr bereichernd und hat den Unterschied zwischen AUC Studierenden und den Lebenserfahrungen anderer Gleichaltriger aufgezeigt. Beispielsweise war es für meine Freundinnen wichtig, Rücksicht auf die hohen Preise an einem touristischen Ort wie Dahab zu nehmen.

Ausblick auf das Rote Meer an einem bewölkten Tag (Laura Beck)

Dabei waren die Preise ungefähr so hoch wie auf dem AUC Campus üblich und für mich als International günstig (ca. 5€ für ein Abendessen direkt an der Promenade). Auch wurde mir erzählt, dass für Ägypterinnen meist andere Standards bezüglich der Freizügigkeit angesetzt werden als für Ausländerinnen.

Gebäude in Alexandria (Laura Beck)

Insgesamt freue ich mich hier zu sein und fühle mich wohl im Land. Leider hatte ich nicht so viel Zeit wie gewünscht, um in mein Arabisch oder das Kennenlernen des Landes zu investieren. Ich bin allerdings zuversichtlich, dass sich dies im nächsten Semester verbessern wird. Zudem werde ich ab September in einen zentraleren Stadtteil ziehen und dadurch hoffentlich eine authentischere Erfahrung in Kairo machen.

Tahrir Square in Kairo (Laura Beck)
Tahrir Square in Kairo bei Dämmerlicht (Laura Beck)

Abschlussbericht

In den ersten Überlegungen zu einem potenziellen Auslandssemester war die Frage „Was ist mir wichtig?“ entscheidend. Dies ist meist eine Entscheidung zwischen akademisches Prestige und kultureller Erfahrung. Trotz spannender, akademisch herausfordernder Partneruniversitäten in den USA und Europa war für mich schnell klar, dass mir die kulturelle Erfahrung wichtiger ist.

Nicht als Euphemismus für berühmtberüchtigte Party-Semester in Spanien oder Bali, sondern um meine eurozentrische Perspektive durch Erfahrungen in anderen Regionen der Welt zu ergänzen. Während dabei lange die Frage zwischen Ostasien und dem Nahen Osten im Raum stand, sprach schlussendlich die abklingende Pandemie für eine verlässlichere Auslandsplanung im Nahen Osten.

Aufgrund der politischen Dynamiken stach die American University in Cairo (AUC) als die beste Wahl unter wenigen Optionen hervor. Dabei überzeugte mich insbesondere das breite Kursangebot im Fachbereich der Internationalen Beziehungen mit Fokus auf kritischer und postkolonialer Theorie.

Da alle Kurse nur auf Englisch angeboten werden, hatte ich mir erhofft möglichst schnell Anschluss zu finden und nicht in der International-Bubble stecken zu bleiben. Ein weiterer wichtiger Faktor war die Landessprache Arabisch, die ich bereits ein Jahr im Voraus zur Vorbereitung angefangen habe zu lernen.

Ich war begeistert von der Uni, doch die Finanzierung stellte sich als große Hürde heraus. Die Studiengebühren machen dem amerikanischen Vorbild alle Ehre und sind mit europäischen Verhältnissen nicht vergleichbar.

Ohne Backup-Plan und trotz einer herausfordernden Koordination aller Deadlines (beispielsweise der Rückmeldung der AUC weit nach den Stipendienbewerbungen) und der Kombination mehrerer Stipendien, hatte ich großes Glück, dass alles zustande gekommen ist. Für dieses Privileg und die Erfahrungen, die mir dadurch ermöglicht wurden, bin ich sehr dankbar.

Der Bewerbungsprozess dauerte insgesamt ein ganzes Jahr. Einige Monate davor hatte ich mich bereits für die AUC entschieden und musste direkt mit den notwendigen Vorbereitungen beginnen. Neben dem TOEFL Tests begann ich einen informellen Arabischkurs eines Kommilitonen zu belegen.

Zudem war es notwendig in den folgenden zwei Semestern je einen Kurs vorwegzunehmen, um die Studiengebühren der AUC zu reduzieren bzw. Platz für einen Arabischkurs an der AUC zu schaffen. Trotz erfolgreicher Wohnungssuche, ungefähr sechs teuren Reiseimpfungen und frühzeitiger Vorbereitung, konnte ich nicht wie geplant ausreisen.

Erst die Post, dann das Konsulat hatten für die Bearbeitung meines Visaantrags mehrere Wochen benötigt. Erst das Berliner Konsulat schaffte es das zuständige Konsulat in Frankfurt zu erreichen, nach dem eine Woche lang niemand ans Telefon ging. Durch die Verzögerung musste ich meinen Flug stornieren und neu buchen. Daher verpasste ich die ersten zwei Tage des verpflichtenden Orientierungswochenendes.

Am letzten Tag des Orientierungswochenendes hatte ich das erste Mal die Chance meine Kommiliton:innen kennenzulernen. Viele hatten bis dahin bereits beschlossen, auf die Vorträge und Einweisungen zu Universitäts-Regelungen verzichten zu können.

Ein wichtiger Tipp wurde jedoch vermittelt: beim Straße überqueren sollte man nicht warten, bis die Autos anhalten. Während das Anleitungsvideo zum Straßenverkehr in Kairo für Heiterkeit und sarkastische Kommentare unter den Studierenden sorgte, stellten sich die Tipps als relativ nützlich heraus.

Da es selten Ampeln und eigentlich keine Zebrastreifen gibt, muss mit viel Vertrauen eingefordert werden, dass die Autos anhalten oder zumindest verlangsamen. Da viele Straßen in Campusnähe mindestens dreispurig sind, war dies gewöhnungsbedürftig.

Die Drop & Add Period ermöglichte es am Anfang die eingeschriebenen Kurse zu besuchen und potenziell die Kurswahl zu ändern. Da einer meiner Kurse gestrichen wurde und der andere sich als wenig vielversprechend herausstellte, wählte ich spontan die zwei Kurse, die mein weiteres Semester am meisten prägten.

Am darauffolgenden Wochenende organisierte das International Office der AUC kostenlose Ausflüge zu den Pyramiden von Gizeh, dem Egyptian Civilization Museum, Khan Al Khalili (Bekannter Souk/Markt) und der Moschee von Muhammed Ali, die neben dem Besuch der größten Sehenswürdigkeiten der Stadt auch eine Gelegenheit zum näheren Kennenlernen boten.

Downtown

Die Vorlesungsräume der AUC sind trotz des schönen und modernen Campus, erstaunlich altmodisch und dunkel. Der größte Unterschied zu den meisten deutschen Universitäten ist jedoch die Größe. Die meisten Räume an meiner Fakultät waren auf maximal 30 Studierende ausgelegt und daher eher wie ein typisches Klassenzimmer gestaltet.

Einer meiner akademischen Kulturschocks war, dass sich das Klassenzimmer von vorne nach hinten aufgefüllt hat, während in Deutschland meist die erste Reihe leer bleibt. Außerdem saßen die meisten Studierenden vor einem Block (oder auch nur ihrer Handtasche), während meiner Erfahrung nach deutsche Studierende größtenteils Laptops bevorzugen.

Von Kommiliton:innen hatte ich gehört, dass manche Professor:innen sogar digitale Geräte in ihrer Vorlesung verbieten. Für den Kontext sei gesagt, dass die AUC in Ägypten einen sehr guten Ruf genießt und fast nur sehr wohlhabende Familien es sich leisten können die hohen Studiengebühren zu zahlen.

Signifikanter war allerdings die Geschlechterverteilung. In all meinen Politikkursen waren nur 10-20% Männer. Die einzige Ausnahme stellte der Masterkurs in Conflict Prevention and Resolution dar. Aufgrund der kleinen Gruppengröße wird die Diskussion besonders angeregt und ist essenzieller Bestandteil des Kurskonzepts.

Während ich das im Masterkurs sehr spannend fand, war das Diskussionsniveau in Bachelorkursen weniger hoch und mehr von Meinungen geprägt, die sich nicht auf die Kursliteratur stützten. Dadurch war das Verhältnis zwischen Professorin und Studierenden weitaus ungezwungener als in Deutschland und näher an der Gymnasialzeit.

Dies spiegelte sich in der Abwesenheitsregelung wider. Verpasst man drei Wochen des Semesters, Krankschreibung eingerechnet, besteht man nicht. Den größten Unterschied stellen jedoch die Prüfungsleistungen dar. Im amerikanischen System der AUC werden zwei Midterms (meist Essays), ein Final Essay und um die 5 Reflection Paper eingereicht.

Eine wichtige Rolle spielt außerdem die Mitarbeitsnote. Sprachkurse fordern meist mehrere Quizze, Hausaufgaben und Präsentationen. Aufgrund der Quantität sinkt, meiner Erfahrung nach, die akademische Qualität. Zitationsstilen, die Qualität und Anzahl der Quellen und ähnlichem wird im Bachelor weniger Bedeutung beigemessen.

Auch Recherche war meist nur limitiert notwendig, da die meisten Essays auf der Kursliteratur beruhen sollten. Meine größte akademische Herausforderung war dementsprechend die Anzahl der Kursleistungen und der „required readings“, die sich bei einem vollen Workload an Kursen, die sich zweimal die Woche treffen, anhäufen.

Dass ich einen Masterkurs und einen Sprachkurs (doppelte Länge der Seminare) gewählt hatte, erschwerte diesen Umstand. Dementsprechend verbrachte ich große Teile meines Auslandssemesters in der Bibliothek und schob die ersten All-Nighter meines Studiums. Die Nacht durchzuarbeiten ist keine Erfahrung, die ich vermissen werde.

Allerdings habe ich dabei gelernt, effizienter zu arbeiten und meine Zeit besser einzuteilen, sowie das Selbstvertrauen mitgenommen, auch herausfordernde Phasen zu meistern.

Fachlich bot mir mein Aufenthalt die Gelegenheit mehr über die Geschichte und Politik des Nahen Ostens zu lernen. Dabei ergänzten sich meine Kurse zu International Law in the Middle East, Comparative Politics of the Middle East, Comparative Foreign Policy Analysis und Conflict Resolution and Prevention sehr gut.

Ich empfand es als sehr spannend in International Law über sogenannte „Third World Approaches to International Law“ (TWAIL) zu lernen, in denen Größen wie Antony Anghie, der übrigens früher als Gastprofessor an der AUC lehrte, über Koloniale Kontinuitäten im Internationalen System schreibt.

Dabei kritisiert er unter anderem das Mandatssystem der League of Nations, das auch in Comparative Politics of the Middle East hinsichtlich des Einflusses auf den Staatenbildungsprozess im Nahen Osten thematisiert wurde. Gleichzeitig ist dessen Einfluss heute noch bemerkbar und spielt eine wichtige Rolle in der Historie des Nahostkonflikts.

Postkoloniale Perspektiven waren daher in jedem meiner Kurse zentral, etwas, dass in vielen deutschen Universitäten leider noch unter den Tisch fällt. Daher habe ich in meinem Semester inhaltlich sehr viel neues gelernt und empfand es als akademisch sehr bereichernd.

All meine Kurse setzten darauf Studierende dazu anzuregen eigene Positionen zu beziehen, abzuwägen und zu verteidigen. Im deutschen System habe ich dies weniger erlebt. Besonders wegweisend war mein Masterkurs in Conflict Resolution and Prevention bei einem ehemaligen ägyptischen Diplomaten.

Der Kurs war der beste meiner bisherigen akademischen Laufbahn, da der Professor uns in Diskussionen herausforderte. Wem fällt es nicht schwer zu beantworten, ob beispielsweise priorisiert werden sollte einen Konflikt schnellstmöglich zu beenden oder Menschenleben zu schützen? Beide Ziele gehen nicht zwangsweise miteinander einher.

Mein Professor lud außerdem spannende Gäste wie den ehemaligen Deputy Special Envoy for Syria in den Kurs ein, der von 2014 bis 2019 die Mediationsversuche der UN im Syrienkrieg maßgeblich mitbestimmte. Ich bin sehr dankbar für die Chance, von solch einflussreichen Persönlichkeiten aus der Praxis lernen zu dürfen.

Da ich in diesem Fachgebiet einen Master anstrebe, bot der Kurs eine gute Möglichkeit zu überprüfen, ob das etwas für mich ist und hat zudem mein Interesse weiter vertieft. Im kommenden Semester nutze ich noch mehr die Möglichkeit als Bachelor-Studentin Masterkurse zu belegen und werde voraussichtlich Armament, Disarmament & Arms Control, Practice & Theory of International Negotiations, und Conflict and Security in Global Politics besuchen.

Neben meinen anrechenbaren Kursen belegte ich Arabisch A1. Arabisch zu lernen war eines meiner Ziele für das Auslandsjahr und ein großer Faktor in der Entscheidung für Ägypten. Ich entschied mich für Modern Standard Arabic, um die Grundlagen der Sprache zu lernen, bevor ich in den nächsten Jahren einen Dialekt wähle.

Dahab

Zeitungen, politische Dokumente und co. werden in MSA (auch Fusha genannt) verfasst, während es allerdings nicht im Alltag gesprochen wird. MSA wird in Schulen gelehrt und daher auch im arabischsprachigen Raum verstanden, klingt aber wohl etwa so als würden wir wie Shakespeare oder Goethe im Alltag sprechen.

Bei kleiner Kursgröße mit großem Fokus auf das Sprechen und 5 Stunden die Woche konnte ich viel mitnehmen. Trotzdem habe ich aufgrund des Workloads meiner anderen (benoteten) Kurse leider nicht die Zeit und Energie in mein Arabisch stecken, die es erfordert hätte.

Dennoch halfen mir die Grundlagen bei dem Austausch von Höflichkeiten mit arabischsprachigen Kolleg:innen in meinem Praktikum in Jerusalem, als auch bei meiner Reise durch Jordanien. Beide Erfahrungen motivierten mich mehr Zeit in mein Arabisch zu stecken, denn die Sprache ermöglicht einen ganz anderen Zugang zu so vielen Ländern, Kulturen und Menschen. Im kommenden Semester werde ich daher einen weiteren Arabischkurs belegen.

Das Leben in Kairo bietet einen starken Kontrast zum idyllischen Bodensee, wo ich in Deutschland studiere. Die Stadt ist mit ca. 20 Millionen Einwohnern in der Metropolregion riesig. Viele unterschiedliche Menschen leben hier auf sehr engem Raum. Die Stadt ist dabei das Zentrum Ägyptens und alleine hier zu wohnen ist für viele Ägypter:innen ein Privileg.

Ich nehme Ägypten dabei als ein sehr zentralisiertes Land wahr, was mit einem enormen Kontrast in der Lebensrealität zwischen Kairo und kleineren Städten und ländlichen Gegenden einhergeht. Beispielsweise machen sich „Kairoer“ gerne über den Dialekt aus anderen Regionen Ägyptens lustig, während der in Kairo gesprochene Dialekt eher als gebildet wahrgenommen wird.

Die Stadt bietet sehr alte, religiöse Gegenden wie im Islamischen Kairo oder Koptischen Kairo, die im Gegensatz zu modernen Malls wie der Festival City Mall in New Cairo stehen. Maadi und Zamalek sind dabei die Expat-Gegenden, in denen auch das ein oder andere Hipster-Café zu finden ist. Viele Botschaften, auch die Deutsche, befinden sich in Zamalek.

Zamalek

Ich habe im 5th Settlement gelebt, das Teil von New Cairo ist. Entschieden habe ich mich dafür, da es relativ nah an der Uni liegt (ca. 20 Minuten) und nicht zu weit vom Stadtzentrum entfernt ist (ca. 40 Minuten). Die Gegend ist sehr wohlhabend, ein paar Straßen weiter gab es viele große Villen.

Einige davon standen leer, trotzdem wurden in der Gegend viele neu gebaut. Die Gegend war sehr sicher und ich habe mich auch als Frau nachts alleine auf der Straße relativ wohl gefühlt. Allerdings lag nichts in Lautweite und es gab keine Gehwege, weswegen ich für alles auf Uber angewiesen war.

Daher empfand ich die Gegend als sehr langweilig und umständlich und werde zum kommenden Semester nach Maadi umziehen. Ich hatte außerdem den Fehler gemacht ein Airbnb zu buchen. Dieses war zwar sehr schön und ich habe mich gut mit meiner ägyptischen Mitbewohnerin verstanden, allerdings war es auch dreifach so teuer wie normale Wohnungspreise über Facebook-Gruppen.

Die überwiegende Mehrheit der Wohnungen ist mit einem Gasherd ausgestattet, was ziemlich neu für mich war. Bis heute überprüfe ich dreimal, ob ich das Gas auch wirklich ausgestellt habe, bevor ich das Haus verlasse. Zudem ist das Leitungswasser nicht trinkbar. Viele haben daher einen mittelgroßen Wasserkanister in der Küche stehen.

Im Wasser sind wohl Keime, Chlor, und Metalle – so genau wollte ich das nicht wissen – denn darüber sollte man nicht zu lange nachdenken, wenn man noch das Gemüse mit gutem Gewissen waschen möchte. In der Konsequenz musste auch beim Zähneputzen Trinkwasser verwendet werden.

Hierbei gibt es aber unterschiedliche Ansichten und auch einfach Menschen, die das besser wegstecken als ich. Europäischen Tourist:innen würde ich aber zur Vorsicht raten, um den Urlaub nicht aufgrund von Nachlässigkeit beim Zähneputzen unterbrechen zu müssen. Eine weitere Eigenheit ist die Ameisen-Lage.

Im Sommer mussten wir Honig in einem Wasserbad lagern, um ihn vor den Ameisen zu schützen. Ließ ich einen Teller für eine halbe Stunde im Zimmer stehen, war er danach voll mit Ameisen. Glücklicherweise hielten sich diese allerdings zurück, wenn man einige Vorsichtsmaßnahmen hinsichtlich des Essens beachtete.

Die meisten ägyptischen Wohnungen, so wie auch meine Uni, haben außerdem keine Heizung. In den Wintermonaten fühlen sich die 15-17°C trotzdem noch sehr frisch an. Dementsprechend empfiehlt es sich immer zu dieser Zeit ein zwei Pullis mehr einzupacken als man glaubt zu benötigen. Ich musste mir auf jeden Fall mehr warme Kleidung besorgen.

Im Frühling und Sommer wird es dafür wirklich sehr heiß. Ab und an gibt es kleine Sandstürme, die meist recht schnell wieder vorbei sind.

Nicht nur ist die Stadt sehr groß, das Verkehrssystem ist dazu noch berühmtberüchtigt und trägt seinen Teil zu den langen Fahrtzeiten bei. Viele Straßen sind mit baulicher Trennung ausgestattet und bieten häufig Platz für drei bis vier Spuren pro Fahrtrichtung. Tatsächliche Spuren gibt es allerdings nicht.

Der Platz wird nach Belieben genutzt, Autos werden von links und rechts überholt und irgendwie kommt man trotzdem heil an. Ampelanlagen sind selten, Fußgängerüberwege habe ich noch nicht gesehen. Viele Fahrzeuge sind kreativ repariert worden und generell ist der Verkehr reines Chaos, damit aber auch Teil von Kairos Charme.

Ich möchte Interessierten gerne die Instagram-Seite @IdontfeelsafeinEgypt nahelegen. Diese sammelt die Highlights des ägyptischen Straßenverkehrs. Das öffentliche Nahverkehrssystem ist eine Herausforderung. Das Bussystem habe ich nach vier Monaten noch nicht verstanden, es gibt allerdings auch kaum Bushaltestellen.

Sogenannte Micro-Busses arbeiten ohne Haltestellen, Schilder oder Abfahrtszeiten und sind daher ohne Arabischkenntnisse schwer zu navigieren. In vielen Uber und Taxis sind die Sicherheitsgurte abmontiert und einige Busse fahren mit offener Tür. Die Metro funktioniert gut, ist allerdings nicht bis nach New Cairo angeschlossen.

Von Taxis wurde uns seitens der Universität generell abgeraten, im Notfall seien auch nur die weißen Taxis annehmbar. Damit blieb für mich nur Uber übrig, für das man circa. 1,50€ für 20 Minuten zahlt. Das gibt auch einen Eindruck über die Löhne in Ägypten.

Grundsätzlich empfand ich die ägyptische Kultur als sehr lebensfroh, großzügig, hilfsbereit und herzlich. Als International an der AUC ist es allerdings schwierig aus der privilegierten Uni-Bubble herauszukommen und einen repräsentativen Eindruck von Land und Leute zu gewinnen.

Reispudding mit Eis in Alexandria

Ich hoffe durch meinen Umzug nach Maadi und mehr Reisemöglichkeiten nächstes Semester ein breiteres Bild von der Stadt und dem Land erlangen zu können. Extrem spannend fand ich den westlichen Einfluss auf die Schönheitsideale in Ägypten. Kommilitoninnen erzählten mir, dass manche Restaurants den Eintritt für Hijabis verweigern.

Das Tragen eines Kopftuchs würde als weniger gebildet und „lower class“ wahrgenommen werden. Dabei sei aber auch relevant in welchem Stil das Kopfucht getragen werde.

Ich war mehr als überrascht, dass dies in einem mehrheitlich muslimischen Land vorkommt und fand es erschreckend zu sehen, wie sehr westliche Schönheitsideale nicht nur PoC innerhalb des Westens, sondern auch darüber hinaus ausschließen und unterdrücken. Ein weiteres Beispiel sind Locken, insbesondere eine sehr enge (sog. coily) Lockenstruktur.

Freundinnen erzählten mir, dass sie einen großen Druck verspüren ihre Haare chemisch zu glätten und in konservativeren Vierteln für ihre Lockenstruktur abwertende Blicke abbekommen.

Während meiner Zeit in Ägypten fand Ramadan statt. Bereits Tage vorher schmückten die Nachbarn die Straße mit Lichterketten, manche davon aus dem Weihnachtssortiment. Für Ramadan werden bestimmte Laternen über die Tür gehängt. Damit alle rechtzeitig für Iftar (Fastenbrechen) zu Hause sind und genug Zeit zum Kochen haben, wurde unser Stundenplan auch leicht abgeändert.

Ramadan Beleuchtung

Kurse, die von 19.30 bis 22.30 stattfanden, wurden eine Stunde nach hinten verschoben. Glücklicherweise beschloss mein Professor, lieber den Kurs auf Samstagnachmittag zu verschieben. Während ich selbst nicht gefastet habe, war es sehr schön den Zusammenhalt und die Solidarität zu spüren.

Einige Angestellte saßen zu Iftar an langen Tafeln um gemeinsam das Fasten zu brechen, auf der Straße werden Wasserflaschen und Datteln verteilt und an langen Tischreihen neben der Straße oder in Fußgängerzonen teilen Familien ihr Essen mit Bedürftigen.

Aufgrund des hohen Workloads meiner Kurswahl, hatte ich leider nicht viele Möglichkeiten die Stadt oder das Land zu erkunden. Einen Trip außerhalb Kairos konnte ich allerdings im April machen. Freunde und ich buchten noch am gleichen Tag ein Airbnb und ein Ticket für einen Minibus, um am selben Abend nach Dahab ans Rote Meer zu fahren.

Zeltlager in Dahab

Nach 3h Fahrt innerhalb Kairos, um alle Passagiere aufzugreifen und weiteren 12h Fahrt waren wir am nächsten Tag endlich angekommen. Während ich als erstes schlapp gemacht habe und eingeschlafen bin, waren meine ägyptischen Freundinnen mehr als 24h wach. Ihrer Meinung nach sei das eine kulturelle Sache und ich einfach als Kind nicht an späte Bettzeiten gewöhnt worden.

Es war sehr interessant mit ägyptischen Freundinnen zu reisen, da doch das Budget und Essen ein kleiner Konfliktpunkt war. Da ich bereits schlechte Erfahrungen mit Essensständen gemacht habe, wollte ich unbedingt gesundheitliche Probleme vermeiden und war bei Essen besonders vorsichtig.

Während wir immer eine Lösung fanden, lag ich trotz aller Vorsicht am dritten Tag mit leichten Magenproblemen flach. In den Tagen davor war ich das erste Mal schnorcheln, habe nach einer kleinen Wanderung den Sonnenuntergang von einem Berg aus gesehen und über meine Freundinnen locals aus Dahab und andere Reisende kennengelernt.

An einem Abend sind wir in die Berge gefahren zu einer Art Café bzw. organisiertem Lagerfeuer. Dort wurden Sitzkissen bereitgestellt und Essen und Tee am Lagerfeuer serviert. Später sind wir etwas geklettert, um von einer Anhöhe in den Bergen aus die Sterne zu sehen. An unserem letzten Abend fuhren wir zu einem Teil der Küste an dem Freunde bereits zelteten.

Dort saßen wir am Lagerfeuer, rauchten Sisha und sahen Sternschnuppen. Obwohl ich aufgrund der Sprachbarriere häufig etwas außen vor war, war es doch sehr schön über meine Freundinnen mit neuen Menschen in Kontakt zu kommen und eine etwas andere Perspektive kennenzulernen.

Während der Planung meines Aufenthalts war ein großer Punkt für mich die Sicherheit als junge Frau in Kairo. Ich fand es schwierig dazu Informationen zu finden und die Situation von Deutschland aus einzuschätzen. Erfahrungsberichte erzählten häufig von Belästigung und Catcalling. Ich habe in vier Monaten keine physische Belästigung erlebt.

Catcalling im Stadtzentrum kommt oft vor und vielleicht auch etwas häufiger als in deutschen Großstädten. Persönlich ist es allerdings nicht so sehr bei mir angekommen, da ich meist aufgrund der Sprachbarriere nur vermuten konnte, dass das Gesagte unangebracht war. Blicke zieht man als weiße Person, insbesondere mit hellen Augen und Haaren, immer auf sich.

Häufig steckt da meiner Wahrnehmung nach aber vermehrt Neugier dahinter. Viele Gegenden sind bis tief in die Nacht noch belebt und viele Menschen sind unterwegs. Das hat mir zumindest ein gewisses Gefühl von Sicherheit gegeben. Insgesamt habe ich mich nicht besonders eingeschränkt gefühlt und würde ähnliche Vorsichtsmaßnahmen wie in deutschen Großstädten empfehlen.

Während ich mindestens zweimal täglich ein Uber genutzt habe, hatte ich „nur“ zwei unangenehme Situationen, darunter einen impliziten Heiratsantrag. Beides ließ sich lösen und Uber bietet einige Sicherheitsfeatures, weswegen es auch gegenüber Taxis bevorzugt werden sollte. Ich kann trotz allem jedem einen Aufenthalt in Kairo nur ans Herz legen!

In meiner Zeit in Kairo habe ich viel gelernt, kulturell, politisch und persönlich. Ich schätze sehr die Möglichkeit neue Perspektiven kennenzulernen und bin überzeugt, dass diese prägende Erfahrung und die Denkanstöße mich noch weit über das Jahr hinaus begleiten werden.

Vor allem freue ich mich nach meinem Sommerpraktikum in Jerusalem wieder an die American University in Cairo zurückzukehren und noch möglichst breite Eindrücke vom Land zu sammeln. Dabei bin ich Vacasol für Ihre Unterstützung dankbar.